Gedanken

Gedanken über eine Welt für sich

am 28.01.2024

Eine Karte. Noch eine Karte. Und noch eine. Sie reihen sich aneinander, klettern übereinander und formieren sich zaghaft. Sie wollen etwas erbauen, etwas erschaffen. Eine Karte und noch eine Karte. Zwei Karten, drei. Das ist das Haus vom … ein Kartenhaus. Sie halten sich aneinander fest, stützen sich gegenseitig und stehen schließlich Seite an Seite. Ein Kartenhaus, gebildet aus einzelnen Karten, gemeinsam erschaffen. Ein Kartenhaus, erbaut hinter Glas. Hinter einer gläsernen, schwarzen Fassade, durch die man nicht so recht blicken kann. Und auch hinter die Fassade zu blicken, erweist sich als schwierig. Einen Einblick erhalten nur die Karten selbst, da sie sich hinter dem Glas befinden. Einen kleinen Einblick. Den kleinsten.

Eine Karte, noch eine Karte und noch eine. Hinter dem verspiegelten Glas wiegen sie sich in einem Wind, den nur sie allein spüren können. Wenige Karten bloß sind es. Hin und wieder kommt eine neue hinzu, gelangt hinter das Glas und sucht sich eine Nische im Kartenhaus. Jede Karte festigt das Gebilde, stabilisiert es im scheinbaren Wind. Hin und wieder verschwindet auch eine der Karten. Recht plötzlich und unvorhersehbar entsteht eine Lücke, die von den anderen geschlossen werden muss. Es ächzt und knarzt im Gebilde, bis sich die Karten wieder neu zusammengefunden haben.

Eine Karte. Noch eine Karte. Und noch eine. Sie neigen sich einander zu und tauschen getuschelte Neuigkeiten aus. Der eingebildete Wind erscheint ihnen widerspenstig und frech.

Doch dann verändert sich der Wind. Eine Böe erfasst die Karten hinter dem Glas. Eine Böe, die echt ist und alle gehörig durcheinanderwirbelt. Bevor sie geht, zieht sie hartnäckig an einer Karte, hält sie fest und trägt sie siegreich davon. Die Karten formieren sich neu. Sie tuscheln, doch den scheinbaren Wind haben sie sich nicht noch einmal eingebildet. Stattdessen warten sie unbewusst auf die Böe, die unvermittelt auftaucht und eine von ihnen mit sich nimmt. Wieder und wieder. Und dann bringt der veränderte Wind auch Änderungen mit sich.

Aus wenigen Karten werden mehr, noch mehr. Blatt und Schelle grüßen einander und versuchen angestrengt, sich in das Gebilde zu integrieren. Sie sammeln sich ungestüm und bringen die Eicheln dazu, sich neu zu formieren. Sie erschaffen etwas, auf das man bauen kann. Ein Fundament. Für was? Für wen? Die gläserne Fassade wird noch dunkler. Das Grün auf der anderen Seite lebt, zwitschert und atmet. Der blumige Geruch der Wiesen konkurriert mit dem harzigen Duft der Wälder. Vor dem Glas.

Hinter dem Glas tuscheln die Karten. Leise. Angestrengt. Umgeben von weißen, sterilen Gängen und Fluren, die von der schwarzen Fassade kontrastreich umrahmt werden.

Eine Karte, noch eine Karte und noch eine. Herz hat seinen großen Auftritt. Karte um Karte tritt es in Erscheinung und bevor die anderen noch recht verstehen, was da geschieht, sind die Herzen bereits über sie gekommen. Erklimmen sie, nutzen sie als Trittleiter, um auf ihre Schultern zu gelangen. Dort stehen sie nun. Barsch und bestimmend. Verwirrung macht sich unter Eichel, Blatt und Schelle breit ob dieser neuen Struktur. Wie sollen sie sich jetzt noch einander zuneigen? Wie können sie noch miteinander tuscheln?

Stille kehrt ein. Eine Stille, die nur hin und wieder von etwas durchbrochen wird, das wie ein Kommando klingt. Ein Ruf, ein Auftrag, ein Tadel – die Herzen sind es nun, die den Ton angeben. Und der Ton könnte lieblich sein, doch er ist es nicht. Unmut wächst – ein wenig. Das Miteinander bröckelt, aber die Struktur steht fest. Eichel, Blatt und Schelle finden sich damit ab. Vorerst. Manchmal gelingt es ja noch, unbemerkt ein Stückchen zusammen zu rücken, um zu tuscheln. Wenn auch nur mit den Karten, die gerade so Schulter an Schulter stehen.

Der nächste Auftritt. Sie kommt. Die eine, die Karte. Mit festen Schritten nähert sie sich dem Gebilde und betrachtet es von allen Seiten. Einschätzend und abschätzig. Würde es eine wichtige, gewichtige Karte überhaupt tragen können? Oder würde es unter ihr in sich zusammenstürzen? Die machthungrigen Augen der Herz-Dame wandern erst über die unteren Karten, dann über die Herzen, die breit darüberstehen. Die Gier ist groß, sie erlaubt kein Zögern.

Beherzt beginnt sie den Aufstieg. Die unten verharrenden Eichel, Blatt und Schelle sehen ihr unsicher dabei zu. Ist die Herz-Dame gekommen, um das verlorene Miteinander zu retten? Würde sie es ihnen ermöglichen, wieder uneingeschränkt miteinander zu tuscheln? Die oberen Karten beobachten ihre Dame ebenso zweifelnd, wenn auch aus anderen Gründen. Zwiegespalten sind sie, die Herzen. Einerseits macht diese Ankunft sie zu etwas Besonderem. Sie sind nun auserwählte Sprachrohre, der Vermittlung zwischen unten und oben mächtig. Sie sind nun das, was das Kartenhaus auch in der Vertikalen zusammenhält. Der Klebstoff zwischen den Rängen und Ebenen. Sie sind nun wer. Andererseits aber würden sie nun ebenfalls Kommandos erhalten. Und die Zurufe, Aufträge und Tadel würden nicht lange auf sich warten lassen.

Oben angekommen, blickt die Herz-Dame zufrieden um sich und auf die anderen Karten herunter. Man sieht ihr an, dass ihr der Ausblick gefällt. Und schon geht es los. Die Kommandos prasseln nur so von oben nach unten herab. Viele der Karten wünschen sich sehnlichst einen Schirm, der sie gegen den oberen Unmut zu schützen vermag. Vergeblich. Enttäuscht beugen sich Eichel, Blatt und Schelle dem Unausweichlichen, was die oberen Karten, die doch auf ihren Schultern stehen, tatsächlich kurz ins Wanken geraten lässt. Doch nur kurz. Zu kurz.

Eine Karte, noch eine Karte und noch eine. Eichel, Blatt und Schelle. Herzkarten über ihnen. Herz-Dame über Herzkarten. Last und Tadel, ohne Lob und Wertschätzung, ohne Miteinander. Ohne Getuschel.

Und plötzlich sind sie da. Wie von Zauberhand dort hingesetzt, stehen sie eines Morgens auf den Schultern der Herz-Dame: Drei Könige. Erneut schöpfen die unteren Karten Hoffnung, sie können nicht anders. Würden sie nun wieder gehört werden? Würde man sie wieder einzeln betrachten und nicht nur ein kollektives Fundament in ihnen sehen? Würden sie Wertschätzung dafür erfahren, dass sie das Kartenhaus aufrechterhielten? Dürften sie vielleicht sogar wieder miteinander tuscheln – zwanglos und offen, so wie sie das aus den alten Zeiten kannten?

Denn das steife Getuschel mit nur der benachbarten Karte, hat unbeabsichtigt alle möglichen Tuscheleien zur Folge. Von Karte zu Karte über eine andere Karte. Von wahr zu teils wahr zu unwahr. Für manche ist es ein abgekartetes Spiel. Sie erhoffen sich davon den Aufstieg, sie wollen es sich als Eichel, Blatt oder Schelle neben den Herzen gemütlich machen. Für andere aber ist es kein Spiel. Sie sind getroffen und stellen betroffen das Tuscheln ein. In Gedanken verlegen sie es auf einen Tag in der Zukunft, auf diesen einen Tag, an dem sie wieder frei und offen mit den Karten ihrer Wahl tuschen dürfen. Freies Getuschel für alle Karten!

Die drei Könige aber interessiert das Tuscheln nicht. Weder das direkte Miteinander-Getuschel noch das ungerechte Getuschel falscher Zungen. Sie sind stattdessen voll und ganz mit sich selbst beschäftigt. Und manchmal, aber nur manchmal, auch mit der Herz-Dame, die sie doch immerhin trägt.

Die drei Königskarten sprechen über Strategien. Sie führen gedanklich ihre Feldherren in die Schlacht und gewinnen wichtige Abzeichen. Gelegentlich treffen sie sich auch zum königlichen Bankett mit Gästen, die genauso erlesen sind wie die aufgetischten Speisen. Hin und wieder erschallt ihr Gelächter bis hinunter zu den Karten, die das Kartenhaus stützen. Hin und wieder überkommt sie aber auch der Zorn. Dann stampfen sie mit dem Fuß auf und werfen ihre Kronen. Unten hofft man jedes Mal darauf, dass die Herz-Dame diese Kronen abfangen wird. Aber das geschieht nie. Sie ist als Einzige vorgewarnt, sieht die Kronen fliegen und weicht ihnen geschickt aus. Ab und zu geschieht es gar, dass sie die fliegende Krone nutzt und mit einem gezielten Tritt in ein von ihr auserkorenes Ziel befördert. Die so getroffene Karte gerät ins Wanken und sporadisch bricht eine von ihnen auch zusammen und aus dem Gebilde. Sie hinterlässt eine Lücke, die neu gefüllt werden muss. Dieses Füllen jedoch wird schwieriger und immer schwieriger.

Verzweiflung macht sich in den unteren Etagen des Kartenhauses breit. Aus Leidensgenossen werden Konkurrenten. Die immer noch tuschelnden Karten verstärken ihr mitleidloses Tun im Rücken der anderen, die das Tuscheln bereits aufgegeben haben. Einige Karten schließen sich zusammen und versuchen, vermeintlich schwächere Karten aus ihren Reihen zu verdrängen. Bei manchen Karten wird die Verzweiflung so groß, dass sie sich selbst einen unerwarteten Ruck geben und aus freien Stücken aus dem Gebilde purzeln, um sich ein anderes, ein freundlicheres, Kartenhaus zu suchen. Missmut macht sich breit und die wachsende Frustration weckt bei vielen Karten ernsthafte Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihres Tuns.

Es waren einmal eine Karte, noch eine Karte und noch eine. Doch von diesen ersten Karten gibt es nur noch wenige. Die neuen Karten, die hinzukommen, um entstandene Lücken zu schließen, bestehen aus feinerem Karton. Sie blicken nach oben und wiegen sich in den Kommandos derer, die über ihnen stehen. Sie aalen sich in der Kälte aus Beton, die hinter der gläsernen Fassade herrscht. Sie lassen sich mit Kronen bewerfen, ohne mit einer Ecke zu zucken. Aber sie schwanken. Sie sind noch zu neu, um wahrhaft verwurzelt zu sein. Die anderen Karten, die sie umgeben, die ihr Miteinander hätten sein sollen, sind ihnen egal. Sie tuscheln gerne, aber nur über andere. Freies, offenes, freundliches Getuschel kennen sie nicht. Und wenn sie es kennenlernten, würde es sie hoffnungslos erschrecken. Alles um sie herum ist Konkurrenz, obwohl doch jede einzelne Karte ein Stück Kartenhaus ist. Ein Stück Wissen. Ein Stück Erfahrung und ein Stück Gemeinsamkeit.

Es wird immer schwieriger, nachkommende Karten in die Struktur des Hauses aufzunehmen und einzubauen. Sie wollen sich nicht einbauen lassen, egal ob Eichel, Blatt, Schelle oder Herz. Sie wollen sich nicht verankern. Sie wollen sein. Aber kein Teil. Jede Karte entwickelt sich zum Einzelkämpfer, der nicht so einfach ersetzt werden kann, wenn er fällt. Und er fällt. Weil er nicht verankert ist. Weil ihn die Wurzeln des Kartenhauses nicht interessieren. Sie sind den neuen Karten egal, die nur sich und ihre eigene Zukunft sehen. Dabei könnte man doch so viel aus der Vergangenheit lernen.

Es waren einmal eine Karte, noch eine Karte und noch eine. Nur wenige dieser ersten Karten gibt es noch. Und so gibt es auch nur noch wenige Karten, die versuchen, sich gegenseitig zu stützen, wie es in einem Kartenhaus doch eigentlich nötig ist. Es gibt nur noch wenige Karten, die versuchen, sich trotz aller Widrigkeiten einander zuzuneigen, wenn sie merken, dass eine andere Karte sie braucht. Die in Gedanken miteinander tuscheln, um freundlich zu sein und offen, respektvoll und wertschätzend. Um zu zeigen, dass sie die jeweils andere Karte interessiert.

Und über den Eichel, Blatt und Schelle stehen die Herzen, die auch nicht wirklich zufrieden sind und es vermutlich niemals waren. Und über ihnen wiederum steht die Herz-Dame, deren Wirken Auswirkung auf alles hat. Sie wäre es, die mehr Miteinander erwirken könnte. Sie könnte das Kartenhaus stärken und eine motivierende Zufriedenheit aller Karten, unten wie oben, fördern. Sie könnte für mehr Zusammenarbeit sorgen, doch ihre Besorgnis gilt rein den Königen, nebst ihrer eigenen herzoglichen Autorität. Ihre solitäre Überlegenheit ist selbst gewählt und sie untermauert diese Stellung tagein, tagaus. Aber ob die Herz-Dame letztlich zufrieden ist, weiß nur ihr Herz. Sie wirkt allein und sie ist allein. Und damit sind wir es alle.

 

 

 

Gedanken über eine Wahl ohne Wahl

am 29.10.2023

Die Qual der Wahl zu haben wäre schön. Schon allein deshalb, um seiner Meinung Ausdruck verleihen zu können. Um sich für das eine, oder eben für das andere zu entscheiden. Um demokratisch abzustimmen. Und um wahlweise die eigenen Interessen in der einen oder der anderen zur Wahl stehenden Person vertreten zu finden.

Was genau ist eigentlich eine Wahl ohne Wahl? Sie ist genau das nicht mehr, was sie doch zu sein vorgibt. Und sie nimmt Freiheiten. Die der Meinung zum Beispiel. Und meint man dann etwas zu dieser Nicht-Wahl, dann wird auch das nicht gerne gesehen. Intoleranz und Ignoranz scheinen das Mittel der Wahl auf nicht-gewünschte Meinungsäußerung zu sein.

Eine Wahl ohne Wahl nimmt auch Mitsprache. Mitarbeitende werden zu wahllos Wiedergebenden von vorgekauten Vorstellungen. Gewünschte Wiederkäuer sozusagen. Und irgendwie nimmt sich die Wahl ohne Wahl damit auch die eigene Sinnhaftigkeit.

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Kurze Denkpause – oder auch nicht

am 10.04.2023

Ich bin nicht gut im Nicht-Denken. Das ist wie Loslassen. Die Kontrolle verlieren. Aber auch – gewinnen. Sich selbst, freie Zeit, Freiheit. Ruhe. Im Kopf, im Leben, im Moment.

Wird das Denken überbewertet? Gar nicht. Aber wenn es sich doch bloß auf das richtige Denken beschränken lassen könnte! Das zeitweise, gesteuerte Denken, das sich auch wieder abschalten ließe. Mir fehlt die Stopp-Taste, der Pause-Knopf. Dass wir so etwas nicht haben, gibt mir zu denken. Warum wollte die Evolution einen gedankenvollen Kopf? Weil wir immer zur Flucht bereit sein mussten? Weil wir, um zu überleben, alle möglichen Risiken in jedem einzelnen Moment unseres Lebens durchdenken mussten? Immerzu voller Gedanken, nie gedankenlos?

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Gedanken in Trauer

am 18.05.2023

Da ist dieses Fehlen. Immer wieder, überall. Es liegt an dir. An deiner Abwesenheit. Da waren so viele kleine Dinge, so viele Selbstverständlichkeiten, die mit dir verschwunden sind. Einfach so, ohne Vorwarnung. Sie fehlen mit dir.

Deine Pfoten auf unserem Boden, deine bewegten und gewufften Träume. Deine freudvolle Begrüßung, deine Nähe. Deine Ruhe, deine Entspanntheit, deine Zufriedenheit.

Du warst immer da, ohne dich aufzudrängen. Mit dir war keiner von uns allein. Oder gar einsam.

Deine Anwesenheit war Trost und Freundschaft und unbedingte Zuneigung.

Mit dir ist ein Teil unserer Familie gegangen.

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Ein Hoch auf den Leisefuchs

am 05.04.2023

Er war kurz da, schon ist er weg. Versteckt, verschwunden.

Zurück lässt er eine Stille, die stiller ist als sonst. Eine Stille, in der all die Geräusche, Worte und Töne nachschwingen, die nun lautlos bleiben. Eine Stille, die so plötzlich da ist, dass sie noch niemand so recht glauben kann. Eine Stille, die so still ist, weil ihr alle gespannt zuhören. Sie ist da, als hätte sie einer dort hingezaubert. Aus dem Nichts und aus dem Nirgends. Einfach mit einer Handbewegung. Einer Handbewegung, die zaubert.

Ob er wieder dorthin zurück ist, wo er herkommt? In den Ort der kleinen Leute, an dem gelacht wird und getanzt und gesungen? In den Ort, an dem aber auch aufgeräumt werden muss und gegessen und geschlafen? Immer dann, wenn aus dem Lärm und dem Toben ganz plötzlich Ruhe werden soll, holt man ihn her. Lässt ihn erscheinen, die Welt beruhigen und wieder verschwinden.

Klein ist er, unauffällig und oftmals versteckt. Aber immer in der Nähe, wenn er gebraucht wird. Die kleinen Leute haben das verstanden. Sie kennen den Freund, den Fuchs. Aber die großen Leute kennen ihn nicht genug.

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