Gedanken

Gedanken über ein kleines Auto

am 04.07.2014

(Eine Randnotiz für alle Leser, die zart besaitet sind, wenn es um Autos geht: Die Geschichte über das traurige Schicksal dieses unschuldigen motorisierten Wagens hat ihren Ursprung im wahren Leben, während das beschriebene Ende noch auf seine Erfüllung wartet …)


Es war einmal ein kleines Auto. Das fand eines schönen Junitages eine Familie, in der es bleiben wollte. Papa und Mama kümmerten sich liebevoll um den kleinen Neuankömmling – er wurde gewaschen, gefüttert und spazieren gefahren. Und auch der große Bruder freute sich über den neuen Spielkameraden. Sie parkten nebeneinander und erzählten sich abends von ihren Erlebnissen.

 

Es war eine wunderbare Kindheit, die das kleine Auto hatte. Frei von Sorgen, Arztbesuchen und Zusammenstößen. Es wuchs auf und lernte noch mehr von der Welt kennen. Die Spazierfahrten wurden länger und weiter. Und dann stand eines Tages doch der erste Arztbesuch an – aber nur zur Kontrolle, ohne dass sich das kleine Auto wirklich eine ernsthafte Krankheit zugezogen hätte.


Ein bisschen traurig war das kleine Auto, als sein großer Bruder ein eigenes Zimmer bekam. So konnten sie abends nicht mehr nebeneinander parken und sich von ihren Erlebnissen erzählen. Aber so war es nun mal, wenn man erwachsen wurde. Es geschahen Dinge, die nicht mehr einfach nur schön waren. Das musste das kleine Auto beim Älterwerden lernen.


Eines Tages, es war gerade in der großen, lauten Stadt unterwegs, da musste das kleine Auto plötzlich stark bremsen. Ein Radfahrer hatte die Straße, in die es abbiegen wollte, überquert. Und das kleine Auto bremste, damit dem Radfahrer nichts geschah. Nur konnte leider das große Auto, das hinter dem kleinen Auto fuhr, nicht mehr rechtzeitig anhalten. Rumms machte es, als das große Auto das kleine Auto von hinten rammte. Eine schlimme Erfahrung. Und ein Krankenhausaufenthalt, der das kleine Auto zum Glück wieder vollends gesund machte.


Die Zeit verging und das kleine Auto wurde wieder zwei Jahre älter. Ein weiterer Kontrollbesuch beim Arzt stand an, aber der wusste nur Gutes zu berichten. Dem kleinen Auto ging es gut. Ungefähr eine Woche lang. Dann bekam es eine Erkältung. Es piepste leidend vor sich hin, vor allem bei ungewohnten Bewegungen. Ein weiterer Arztbesuch kam und ging. Und dem kleinen Auto ging es besser. Bis zum Abend desselben Tages, an dem es beim Arzt gewesen war. An diesem Abend parkte es an der Straße und träumte friedlich vor sich hin – wahrscheinlich von besseren Zeiten; oder auch von einer Passstraße in Norwegen – als es plötzlich höchst unsanft geweckt wurde. Ein harter Stoß in die Vorderseite hinterließ tiefe Schrammen und gebrochenes Metall. Ein schwerer Tag für das kleine Auto – und auch für seine Mama, die gleich im Krankenhaus anrief und für das kleine Auto einen Termin vereinbarte. 


Zum Glück war die Verletzung nicht lebensgefährlich. Dennoch musste das kleine Auto einige Tage im Krankenhaus bleiben und sich auskurieren. Als es anschließend wieder nach Hause kam, hatte es keine Lust mehr darauf, erwachsen zu sein. Es wollte vom Ernst des Lebens – und von den vielen unschönen Begegnungen, die das Leben mit sich brachte – nichts mehr wissen. Also beschloss es, wieder das kleine kleine Auto zu werden. Das kleine Auto, das von Papa und Mama liebevoll verwöhnt wurde. Das kleine Auto, das von seinem großen Bruder vor anderen, bösen Autos beschützt wurde. Nur ging das leider nicht. Niemand konnte für das kleine Auto die Zeit zurückdrehen. Da wurde das kleine Auto sehr traurig. Papa und Mama versuchten, es zu trösten. Sie versprachen ihm ein neues Zimmer, in dem es dann wieder gemeinsam mit seinem großen Bruder wohnen würde. Das half ein bisschen. So fühlte sich das kleine Auto wieder beschützt und hoffte, dass es nun zumindest niemand mehr so unsanft aus dem Schlaf reißen würde. Nicht, wenn der große Bruder neben ihm schliefe. 


Was allerdings die unschönen Möglichkeiten des Lebens anging, davor konnte es der große Bruder nicht bewahren. Das kleine Auto begann zu verstehen, dass es das Leben nur so und nicht anders gab. Gute und schlechte Sachen wurden miteinander gemischt und dann unter den Autos verteilt. Ob das nun zufällig geschah oder ob es ein Autoschicksal gab, das vorherbestimmt war, das wusste das kleine Auto nicht. Aber das war auch nicht wichtig. Wichtig war es, sich über die schönen Dinge zu freuen. Und notwendig war es, mit den schlechten Dingen zurechtzukommen.


Und wenn das kleine Auto nicht verschrottet wurde, so lebt und philosophiert es noch heute.