Gedanken über eine bürokratische Erfahrung
am 01.07.2014
Eigentlich dachte ich immer, ich würde ganz gut mit der deutschen Sprache zurechtkommen. Ich kenne genügend Wörter (oder erfinde meine eigenen), gebrauche ganz nebenbei die passende Grammatik (zum Glück, denn die dazugehörigen Regeln könnte ich in den wenigsten Fällen sinnvoll erklären), verwende instinktiv diverse Stilmittel (gewisse Mitautoren unterstellen mir sogar, ich könnte keinen Text verfassen, ohne Ellipsen hineinzupacken. Von wegen.) und muss nur noch ab und zu online im Duden nachschlagen, wenn ich über ein Wort stolpere, bei dessen Schreibweise ich mir nicht sicher bin, ob diese während der letzten Rechtschreibreform (oder deren Reform) verändert wurde.
Meistens darf man dann aber sowieso beide Varianten gleichermaßen benutzen, so dass sich das Nachschlagen in den wenigsten Fällen lohnt. Trotzdem macht es den Text noch um eine winzige Spur richtiger, wenn mir zuvor unser Duden gesagt hat, ich dürfe selbst zwischen den unterschiedlichen Schreibweisen wählen.
Kurzum – Ich dachte, ich würde ganz gut zurechtkommen mit all dem. Bis gestern. Bis ich zum ersten Mal in meinem Leben mit einem notariell verfassten Kaufvertrag zu tun hatte. Ich landete so schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen, dass ich froh war, mir dabei nicht weh zu tun. Weh tat dann allerdings das, was der Vertrag von mir verlangte. Stundenlanges Einlesen, dabei Überlesen sämtlicher Grammatik, Rechtschreibfehler und Wortwiederholungen (falls sich jemand schon mal gefragt hat, wie oft in einem wirklich kurzen Satz das Wörtchen „vor“ verwendet werden kann: Sehr oft! Und auf alle Fälle zu oft!), damit man sich stattdessen vollends auf den Inhalt konzentrieren kann. Und selbst nach wiederholtem Lesen war ich immer noch fasziniert von Wörtern, die völlig zusammenhanglos plötzlich nebeneinander im Satz auftauchten. Ich verstand die einzelnen Worte – aber die Bedeutung in dieser neuen, unglaublichen Kombination war mir schleierhaft.
Eine interessante – und hoffentlich nicht so bald zu wiederholende – Erfahrung. Schade um die Zeit, die ich auch mit „echter“ Literatur hätte verbringen können. Dafür bin ich um etliche Wortbedeutungen (die ich nie wieder brauchen werde, da ich nicht vorhabe, einen Roman über den Alltag eines Notars zu schreiben) reicher. Gut, dass wir nicht alle die gleiche Sprache sprechen beziehungsweise schreiben. Das würde das Leben wirklich zu einfach und zu langweilig machen. Und – Gott bewahre – dann würde man ja vielleicht sogar auf Anhieb in der Lage sein, das zu verstehen, was einem die Bürokratie da in einem Dokument mitteilen will …