Gedanken

Gedanken über Un-Weihnachtliches

am 10.12.2015

Es war einmal ein kleines Mädchen. Das wünschte sich so sehr ein Pony zu Weihnachten.

Unmöglich“, meinte der Vater.

Unbezahlbar“, sagte die Mutter.

So verging Jahr um Jahr und Weihnachten um Weihnachten. Bis das kleine Mädchen, das nun schon etwas größer war, das schönste Geschenk seines Lebens bekommen sollte. Das Versprechen, seiner Eltern, dass sie ihm dieses Jahr endlich den unmöglichen und unbezahlbaren Wunsch erfüllen würden. Und so begann die Suche nach dem richtigen Pony.

 

Unerwarteterweise gestaltete sich diese Suche als gar nicht so einfach. Die Familie wollte ein junges Pony, damit es nicht unerziehbar wäre. Ein freundliches und treues Pony, damit es sich nicht untypisch aufführen würde. Und sie wollten ein bunt gestreiftes Pony. Weil Ponys eben nun einmal bunt gestreift sein mussten.

Unerklärlicherweise waren junge, freundliche und bunt gestreifte Ponys schwer zu finden. Es schien fast so, als würden sich alle kleinen Mädchen zu Weihnachten ein ebensolches Pony wünschen und als hätten sie alle ihre Eltern schon früher zum Ja-Sagen überredet. Es sah aus, als wären alle jungen, freundlichen und bunt gestreiften Ponys bereits vergeben. Bis zu dem Tag, an dem sie endlich unverhofft Glück hatten: Ein Ponyhof lud sie zu einem Besuch ein, damit man sich näher kennenlernen und entscheiden könne, ob denn ein Pony und das kleine Mädchen überhaupt zueinander passen würden. Das kleine Mädchen war überglücklich.

Als der große Tag gekommen war, machte sich die ganze Familie auf den Weg. Weil der Ponyhof so weit weg war, nahm das kleine Mädchen sein bunt gestreiftes Stoffpony mit – so musste das Tierchen nicht alleine zu Hause bleiben und das kleine Mädchen konnte den Ponyhofbesitzern gleich zeigen, dass es schon unzählbar viel Erfahrung mit Ponys hatte und ihnen klarmachen, dass es absolut unbedenklich wäre, ihm ein richtiges Pony anzuvertrauen.

Nach etlichen Stunden trafen sie endlich beim Ponyhof ein. Das kleine Mädchen war zum Bersten gespannt. Es merkte nicht, dass sich das Verhängnis bereits unbemerkt, still und heimlich in Stellung brachte, um die freudige Erwartung zu untergraben und das unvermeidliche Unglück geschehen zu lassen.

Es begann damit, dass sich niemand für das bunt gestreifte Stoffpony interessierte. Niemand wollte etwas mit ihm zu tun haben. Stattdessen sollte es im Auto bleiben und dort auf die Familie warten. Der Gedanke war beinahe unerträglich für das kleine Mädchen. Sein geliebtes Stofftier durfte kein einziges Pony kennenlernen und sich nach der langen Fahrt auch nicht die bunten Beinchen vertreten!

Unbeschreiblich war dennoch das Gefühl, das das kleine Mädchen überkam, als es endlich die jungen, freundlichen und bunt gestreiften Ponys ansehen konnte. Es durfte sie streicheln, beobachten und liebhaben. Von allen Ponys gefiel ihm eines am besten, das eine große rote Blesse hatte. Ein niedliches Tier. Genau so ein Pony hatte sich das kleine Mädchen die ganze Zeit über gewünscht. Höchst ungern verabschiedete es sich schließlich von den jungen Ponys. Die Hofbesitzer wollten unverhüllt wissen, ob sie denn eines der kleinen bunten Ponys haben wolle.

„Na und ob!“, rief das kleine Mädchen überglücklich aus.

Die Eltern waren unaufdringlicher.

„Würden Sie uns denn eines Ihrer Ponys anvertrauen?“, wollten sie wissen.

Schließlich waren sie hierhergekommen, um sich vorzustellen und den Hofbesitzern die Gelegenheit zu geben, sie kennenzulernen. Doch ganz unvermutet schien das nicht weiter nötig zu sein. Den Eltern wurde unvermittelt zugesichert, dass sie selbstverständlich ein Pony bekommen würden. Dass ja bereits durch die Anwesenheit des bunten Stoffponys klar geworden wäre, dass in der Familie eine gewisse unleugbare Pony-Erfahrung vorhanden sei.

Als das kleine Mädchen dies hörte, konnte es sein Glück kaum fassen. Deshalb bemerkte es zuerst auch nicht, dass das unverhoffte Glück noch nicht gesichert war. Die Hofbesitzer begannen nämlich, mit seinen Eltern über Verpflichtungen und Geld zu sprechen. Völlig unvorhergesehen sollten sie einen Vorvertrag unterschreiben. Unausgesprochen begann die Stimmung zu kippen. Das Ganze erinnerte immer weniger an einen glücklichen Ponyhof, den sich das kleine Mädchen so unglaublich wundervoll vorgestellt hatte. Stattdessen breitete sich unterschwellig der Gedanke aus, ob hier nicht einfach möglichst viele Ponys gezüchtet werden sollten.

„Aber“, so klammerte sich das kleine Mädchen unbeirrbar an seinen Glauben, „vielleicht wollen diese Leute einfach möglichst viele kleine Kinder mit ihren Ponys glücklich machen.“

Und auch die Ponys wären sicher glücklich, wenn sie zu diesen kleinen Kindern kämen. Trotzdem ließ sich ein ungutes Gefühl nicht länger verleugnen. Es gab hier nur Ponymütter und einen Ponyvater, den Papa aller jungen Ponys. Aber wo waren die Ponygroßeltern? Und wo die Ponytanten, die sich mit um die jungen Ponys kümmerten, obwohl sie selbst keinen Nachwuchs hatten?

Die Eltern des kleinen Mädchens einigten sich mit den Ponyhofbesitzern darauf, dass sie sich die unabdingbare Zusage noch bis zum nächsten Tag überlegen konnten. Sie wollten ihrer Tochter den ununterbrochenen Wunsch nach einem eigenen Pony so gerne erfüllen, aber ein letztes Gespräch mit ihrem Vermieter, der ihnen die Unterbringung des neuen Haustieres endgültig genehmigen musste, stand noch aus.

„Können Sie das nicht unverzüglich telefonisch erledigen?“, fragten die Ponyhofbesitzer unentspannt. Doch die Eltern schüttelten nur den Kopf. So etwas klärte man nicht telefonisch. Unwillig gaben ihnen die Hofbesitzer also bis zum nächsten Tag Zeit.

Die lange Fahrt zurück nach Hause war nicht schön. Unfähig, den Ausflug weiterhin in einem strahlenden Licht zu sehen, schwiegen sich die Eltern gegenseitig an. Sie wollten den Hofbesitzern keine bösen Absichten unterstellen, aber die Befürchtung drängte sich auf, dass es ihnen unterm Strich nur um Geld ging. Das kleine Mädchen hingegen war völlig unbeschwert. Glücklich erzählte es seinem Stoffpony, das so brav im Auto gewartet hatte, von dem neuen Freund, den es bald haben würde. Ein echtes Pony, das nun in diesem Jahr endlich unter dem Weihnachtsbaum zu finden wäre.  

Als die Familie wieder daheim ankam, war es schon lange dunkel geworden und der Tag vorbei. Oder so dachten sie. Bis sie eine unmögliche Nachricht der Hofbesitzer erhielten, die ihnen ungeschönt mitteilte, dass sie einer anderen Familie den Vorzug geben würden und für ihre Tochter kein Pony mehr hätten.

Eine heile Kinderwelt brach zusammen. Kein Pony! Das kleine Mädchen sah im Geiste das junge, freundliche und bunt gestreifte Pony mit roter Blesse. Aus unschuldigen braunen Augen blickte es das Mädchen traurig an. Es wusste, dass sie nun niemals zusammenfinden würden. Es wusste, dass es bei der Entscheidung nicht um sein Wohl ging. Es wusste um die Ungerechtigkeit der Welt. Eine dicke Träne löste sich langsam aus einem braunen Auge und bahnte sich ihren Weg über die rote Blesse hin zu den samtig weichen Nüstern. Ein kleineres Spiegelbild der dicken Träne lief auch über das Gesicht des unglücklichen Mädchens.

In der Nacht träumte das kleine Mädchen von einer besseren Welt. Ganz so, wie man immer von einer besseren Welt träumen sollte, da die unsere so viele Makel aufweist.

Im Traum spielte es mit seinem eigenen Pony. Das Tier hatte eine rote Blesse und seine braunen Augen strahlten das Mädchen treuherzig an. Sie gingen gemeinsam durch dick und dünn. Morgens besuchten sie zusammen die Schule – dabei durfte das Pony die Büchertasche des kleinen Mädchens tragen – und anschließend verbrachten sie jede freie Minute auf Wiesen und in Wäldern, immer in wunderbares Spiel vertieft. Kinderlachen mischte sich mit dem fröhlichen Wiehern eines Ponys, bis sie beide müde nach Hause kamen und sich nach einer ausgiebigen Mahlzeit nebeneinander ins Bett kuschelten – um sich diesmal nicht in eine bessere Welt träumen zu müssen. 
Das Pony war glücklich. Das Mädchen war glücklich. 
Und dann wachte es auf. 
Unerträglicherweise.

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