Notizen: Ein Märchen
am 21.03.2014
Ich sitze am Schreibtisch. Draußen vor meinen Fenstern ist es dunkel und nur die kleine Lampe, die halb verdeckt von einer Grünlilie auf dem Holzregal neben mir steht, wirft ihren warmen Lichtkegel auf meine zerkratzte und unaufgeräumte Arbeitsplatte. Vor mir steht ein Glas Wein. Ich fahre meinen Laptop hoch und öffne ein Textdokument. Der Anfang ist immer schwer. Die weiße Seite ist nicht unbedingt motivierend, sie erscheint karg und steril. Ein farbloses Viereck auf meinem Monitor. Ein echtes Blatt Papier könnte man noch anfassen, könnte es zwischen den Fingern spüren. Die Unebenheiten, die Wirklichkeit. Nicht so mein Textdokument. Es sieht mich nur an. Aus dem Inneren einer Maschine. Wartend. Mitleidlos.
Um mich selbst zu betrügen, richte ich das Dokument neu ein. Teile die leere große Seite in zwei kleinere. Schließlich wird das Buch später einmal genauso aussehen. Es ist also gar kein Selbstbetrug. Oder? Nennen wir es eine Hilfe. Für meinen Geist. Für meine Vorstellungskraft, meine Motivation.
Und dann geht es los. Ich beginne, meine Idee auszuformulieren. Schreibe die ersten Worte, die ersten Sätze. Zeile für Zeile entlocke ich dem sterilen Weiß. Fülle die Seiten mit Leben. Manchmal merke ich gar nicht, wie die Zeit vergeht. Seite für Seite, Kapitel für Kapitel. Dann wieder stoße ich an eine unsichtbare Grenze. In meinem Geist? Meiner Vorstellungskraft?
Die Umsetzung meiner Gedanken ist schwierig, die Zeit scheint genauso stillzustehen wie mein Text, der einfach gefriert. Bewegungslos. Sinnlos. Verloren. Plötzlich rennt er los, ohne zu zögern, ohne nachzudenken. Doch die unsichtbare Barriere ist nicht so leicht zu durchbrechen. Er stößt sich den Kopf. Prallt zurück. Beginnt wieder zu rennen. Wieder und immer wieder. So lange, bis er es schließlich mit einem unerwarteten und wagemutigen Sprung schafft, das Hindernis zu überwinden. Dann geht es weiter.
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So schreibe ich. So entstehen meine Bücher.
Jedes neues Projekt, jeder Text kennt schwierige Kapitel und leichte. Es gibt Formulierungen, die ich zigmal umschreibe und solche, die es tatsächlich bis zum Ende überleben. So, wie sie sind. Oder fast.
Momentan schreibe ich an einem Märchen. Inspiriert hat mich eine Postkarte aus Norwegen, die vor mir auf meinem Schreibtisch steht und einen Troll zeigt, der auf einem Baumstumpf sitzt und Trollkindern eine Geschichte - ein Märchen - erzählt.
Sechzehn Kapitel soll das Märchen haben, wenn es fertig ist. Sechs sind bereits geschrieben, am siebten sitze ich gerade. Und renne gegen ein unsichtbares Hindernis - immer und immer wieder.
Ob es etwas bringen würde, das siebte Kapitel vorerst zu ignorieren und mit dem achten weiterzumachen? Aus irgendeinem Grund sträubt sich etwas in mir dagegen. Als würde noch etwas Wichtiges in Kapitel sieben passieren. Etwas, das ich nicht verpassen darf, weil sonst das Buch keinen Sinn mehr machen würde.
Vielleicht hilft es mir, mich näher mit meinen bisherigen Figuren zu befassen. Möglicherweise kennt einer von ihnen den Weg, der mich durch die unsichtbare Barriere bringen kann.
Zuerst werde ich mich mit dem Mann im gelben Mantel unterhalten. Dann mit dem Riesen, der Meerkatze, der Sonne und dem Mond. Und anschließend noch mit dem Troll. Vielleicht kann mir einer von denen aus der Klemme helfen.