Gedanken

abendliche Gedanken

am 05.08.2021

Das sind wohl die schwierigsten Worte, die ich seit langem gehört habe.

 „Ich habe so ein blödes Gefühl.“

Was genau soll das eigentlich bedeuten? Und was sollen die Worte bezwecken? Aber beide Fragen sind auch irgendwie sofort egal. Denn eines schaffen diese Worte auf jeden Fall – sie verbreiten sich wie ein Virus. Auf einmal hat man ebenfalls ein blödes Gefühl. Warum? Keine Ahnung. Aber es ist da und lässt sich nicht verleugnen. Ein blödes Gefühl. Einfach so. Aus dem Nichts. Und wie nur bekommt man es jetzt wieder los?

Eine Antwort darauf habe ich noch nicht gefunden. Ich weiß nur – aus Erfahrung – dass Zeit hilft. Wenn das Leben einfach so weiterläuft. Alltagsmäßig und ohne dass irgendetwas passiert, das vielleicht ein vorheriges blödes Gefühl erklären und rechtfertigen würde. Dann ist es irgendwann wieder gut. Und nicht mehr blöd. Blöd und besorgniserregend.

Natürlich hat man nämlich irgendwann in seinem Leben diesen Film gesehen, in dem einer immer zuvor schon weiß, was wem wie passieren wird. Vielleicht

hat man ihn nicht ganz gesehen, aber reingezappt (immer wieder, weil er halt doch irgendwie spannend ist) hat man auf jeden Fall. Und jetzt wird man daran erinnert. Ganz automatisch und ohne darauf Einfluss nehmen zu können. Hat da jemand etwa deshalb ein blödes Gefühl? Weil irgendetwas, das man nicht benennen kann, in der Zukunft lauert? Versteckt und unerkannt und unheimlich böse…?

„Ich habe so ein blödes Gefühl.“ Ich weiß gar nicht genau, warum mich das so besonders trifft. Okay, ich bin ein emotionaler Mensch. Welcher Mensch, der gerne schreibt und seine Gedanken und Gefühle damit ausdrückt, ist das nicht. Aber ich bin nicht völlig emotional. Meine Vernunft ist schon auch irgendwie immer mit im Spiel. Lässt sie sich etwa so leicht überstimmen…? Vielleicht vor allem dann, wenn ich Angst habe, etwas zu verlieren, das mir wichtig und teuer ist? Hat dann die Vernunft auf einmal nichts mehr zu sagen? Rein gar nichts? Fast scheint es so.

Und bekommt man nicht immer wieder gepredigt, man solle auf sein Bauchgefühl hören? Aber wie viel davon ist heutzutage eigentlich noch erhörenswert? Besitzen wir überhaupt noch so etwas wie Intuition? Oder ging sie irgendwo im immer schneller voranschreitenden Datenaustausch verloren? Müsste man sie vielleicht wieder ausgraben – aus dem tiefsten Inneren in einem langwierigen und zeitraubenden Prozess – damit man dann doch mal wieder in der Lage wäre, die eigentlich wichtigen und besorgniserregenden Geschehnisse um sich herum als das zu begreifen was sie im Grunde sind – nämlich lebensbedrohlich? Und all die anderen Nichtigkeiten, die so passieren – könnte man die dann im selben Zuge einfach abhaken und an den Nagel hängen und als das erkennen was sie sind – nämlich lediglich leichte Einschnitte in die eigene Bequemlichkeit?

Früher hörte ich oft den Spruch „Das interessiert mich genauso, wie wenn in China ein Fahrrad umfällt.“ Nämlich nicht. Aber was, wenn dieses Fahrrad beim Umfallen einen Chinesen streift, der zur führenden politischen Partei gehört und dieser dann den Eigentümer des Fahrrads verklagt, ohne zu wissen, dass der Fahrradeigentümer der Direktor einer Fabrik ist, die elektronische Chips für deutsche Autos herstellt? Oder was, wenn besagtes Fahrrad beim Umfallen einen Abhang hinunterkullert, einen leichten Erdrutsch auslöst und zusammen mit dem Erdrutsch in einem Kanal landet, dem es dadurch etwa einen halben Meter Tiefe und die komplette Passierbarkeit für gigantisch kolossale Containerschiffe nimmt? Oder – man möge es sich nur vorstellen – was, wenn das selbe Fahrrad auf einem Schmetterlingspärchen landet, das gerade munter miteinander flirtete und tanzte und damit die beiden letzten bunten Abkömmlinge dieser besonders ausgelassenen Art ganz aus Versehen unter sich zerquetscht. Nur ein weiteres ausgestorbenes Insekt oder doch weltbewegend?

Wie kann ich denn bitte – vor allem in dieser globalisierten und miteinander verketteten Welt – irgendetwas einfach so als gegeben hinnehmen und an mir abprallen lassen? Wie kann ich denn ein  blödes Gefühl ignorieren, das die Welt bedeuten könnte? Und – noch schlimmer – was, wenn es nicht die Welt, sondern meine Welt bedeutet?