Gedanken über unseren Freund, den Baum
am 20.08.2015
Entgegen der im Moment vorherrschenden Angewohnheit, auch noch das kleinste Stückchen Vorgarten mit Steinen jedweder Art – schwarz, weiß, rot, grün, rund, eckig, groß oder klein – aufzufüllen und anschließend einen elegant glänzenden Topf daraufzuplatzieren, bepflanzt mit einem einsamen kugelrunden Buchs, der, aussehend, als hätte ihm eine Nagelschere zu seinem gleichmäßigen Rund verholfen, im Herbst kein einziges seiner zierlichen Blätter mit dem sorgfältig drapierten Kies in Berührung kommen lässt und dem Gang der Jahreszeiten damit äußerst wirkungsvoll ein Schnippchen zu schlagen weiß, haben wir uns dazu entschieden, unseren Traum vom Haus mit einem Hausbaum zu krönen.
Mit einem richtigen Hausbaum. Einem, der groß wird. Einem, der erst seine Blüten in unserem Vorgarten verstreuen wird, dann seine Früchte und schließlich – weil wir einfach nicht genug Abwechslung in unserem Vorgarten haben können – auch noch seine Blätter, nachdem sie im Herbst wunderbarerweise die Farbe gewechselt haben. Es wird ein Baum sein, der nicht kugelrund ist, aber dennoch eine schöne natürliche Krone hat. Es wird ein Baum sein, der nicht klein bleibt, um die Arbeit gering und den Vorgarten überschaubar zu halten. Es wird ein Baum sein, der nicht erst um die halbe – oder die ganze – Welt gereist ist, um dann bei uns ungefragt neu angesiedelt zu werden. (Fairerweise muss ich hier anmerken, dass der von uns erwählte Baum immerhin aus Norddeutschland kommt; wir hoffen aber, dass er sich in unserem wunderschönen Franken auch bald heimisch fühlen wird.)
Es wird also ein Baum sein, der uns im Sommer Schatten spendet und im Herbst mit seinen Blättern unsere Dachrinne verstopft. Es wird ein lebendiger Baum sein, der deshalb auch genausogut Sorge wie Freude bereitet. Es wird ein Baum sein, hinter dem sich unser Haus auf der Suche nach Kühlung und Schutz und Freundschaft auch einmal verstecken kann. Es wird ein Baum sein, auf dem sich Eichhörnchen tummeln und Vögel vergnügen. Es wird eben ein richtiger Baum sein. So, wie ihn Kinder (noch) malen. So, wie man ihn eigentlich kennt und auch lieben sollte.
Unseren ersten Besuch in der Baumschule haben wir hinter uns und den erwählten Baum bereits reserviert – um ihn abzuholen, sobald die richtige Zeit zum Pflanzen gekommen ist. Schon als die Verkäuferin uns aus dem bisherigen Leben des Baumes erzählte – von seiner Kindheit und Jugend im Topf – war ich fest entschlossen, diesem Baum das Stückchen Erde vor unserem Haus als neue Heimat anzubieten. Ihn zu adoptieren, ihn mit unserem Haus zu vergesellschaften und ihm dann beim Erwachsenwerden zuzusehen.
Wir werden eine Holzbank an die Hauswand rücken. Von dort können wir den Baum beim Wachsen beobachten, bis er so hoch ist, dass die Bank mit einem Mal unter seinem Blätterdach steht. Es wird ein kühles Plätzchen im Sommer sein. Ein beschütztes Plätzchen unter den weit ausgebreiteten Armen eines Freundes. Ein mystisches Plätzchen unter kahlem winterlichem Geäst. Der perfekte Platz, um in Ruhe ein abendliches Glas Wein zu genießen. Um sich vom Alltag auszuruhen. Um nach Hause gekommen zu sein.
Und wenn sie nicht gestorben sind, oder – in ferner, ferner Zukunft – keinen Nachbesitzer erhalten haben, der den Vorgarten als zu natürlich und deshalb unaufgeräumt empfindet und ihn lieber mit gleichförmigen Kieselsteinen und ein paar handzahmen grünen Kugeln bestückt, die in Töpfe gesperrt den Eindruck geordneter Natürlichkeit erwecken sollen, dann werden unser Haus und unser Hausbaum immer noch in friedlichem, freundschaftlichem und fürsorglichem Miteinander leben. Haus und Baum. Zusammen.